Die KI als persönlicher Coach

Der vor uns liegende, fundamentale Wandel ist nicht nur ein Wandel in der Arbeitswelt, sondern auch ein gesellschaftlicher. Getrieben durch Technologie, verändert dieser Wandel auch unsere sozialen Fähigkeiten – indem wir sie stärken müssen. Wie das einher mit dem so notwendigen Upskilling geht, darüber haben wir Dr. Wolf-Bertram von Bismarck gesprochen. Er ist Geschäftsführer des PINKTUM Institutes, dessen Forschungsschwerpunkt auf den Kompetenzanforderungen der Zukunft liegt. Das Institut ist die wissenschaftliche Gesellschaft der PINKTUM Group.

Herr Dr. von Bismarck, unterschiedliche Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, dass die Arbeitswelt sich radikal umbauen wird. Was würden Sie in diesem Kontext als Future Skills bezeichnen, also als Fähigkeiten, die in Zukunft gebraucht werden, ganz unabhängig von einzelnen Tätigkeiten?

Dass sich die Arbeitswelt drastisch wandelt, ist unbestritten. Das Konzept der „Future Skills“ springt aus meiner Sicht jedoch zu kurz. Zum einen verändern sich diese Fähigkeiten ständig, getrieben durch den rasanten Fortschritt von KI. Zum anderen fokussieren sich Future Skills stark auf berufliche Anforderungen. Doch wir stehen nicht nur vor einem Wandel der Arbeitswelt, sondern auch vor einer gesellschaftlichen Transformation. Deshalb sprechen wir von „Human Skills“, die über Future Skills hinausgehen.


Lernen ist individuell und persönlichkeitsabhängig. Daher sieht Wolf-Bertram von Bismarck die Diagnostik als essentiell bevor eine persönliche Lernreise starten sollte. Bildquelle / Lizenz: Raimar von Wienskowski

KI wird uns zukünftig viele Aufgaben abnehmen, darunter ungeliebte Tätigkeiten wie das manuelle Eingeben von Daten. Und zukünftig werden auch anspruchsvolle analytische Prozesse zunehmend von KI gesteuert. Was bleibt, sind die Fähigkeiten, die nur Menschen beherrschen: beispielsweise Kreativität, die Führung von Teams, Empathie oder die Gestaltung sozialer Bindungen. Diese Kompetenzen müssen wir stärken, denn sie erhalten die Einzigartigkeit des Menschen und sind essenziell für Unternehmen und für die Erneuerung unserer Gesellschaft.

Wie berücksichtigen Sie Anforderungen unterschiedlicher Generationen in Ihren Lernwelten?

Bei PINKTUM ist die Berücksichtigung unterschiedlicher Generationen Teil der Individualisierung. Am Anfang der Lernreise erfassen wir nicht nur die Rolle eines Lernenden im Unternehmen, sondern auch seine individuelle Persönlichkeit. Das bedeutet, wir analysieren seine kognitiven Systeme, also wie er denkt, seine Motive, also was in antreibt und sein Selbstmanagement, das heißt, wie er sich organisiert.

Damit müssen wir Generationen gar nicht pauschal ansteuern. Es wäre zu einfach zu sagen, dass jüngere Menschen spielerisch lernen wollen, während ältere andere Methoden bevorzugen. Stattdessen setzen wir auf tiefere Einblicke in die Art und Weise, wie eine jede Person denkt und sich organisiert. So können wir wirklich personalisierte Lernansätze entwickeln, die auf den individuellen Bedürfnissen basieren, anstatt auf allgemeine Heuristiken zu setzen, wie Amazon: Jeder der einen Topf kauf sollte auch einen Topflappen kaufen.

Wer heute einsteigt, hat eine „Lifelong Learning Journey“ vor sich. Mehr denn je ist sie individueller denn je. Auf welche Weise kann Technologie diese Lernreise positiv gestalten helfen?

Bisher bedeutet Individualisierung im Lernen bei vielen Anbietern zweierlei, einerseits dass jeder selbstbestimmt die Lerninhalte und Formate wählen kann, die seinen Anforderungen entsprechen. Bei PINKTUM haben wir beispielsweise Macros, also lange und intensive Lerneinheiten und auch Micros, also kurze Lernfrequenzen zum Auffrischen des Wissens. Andererseits sammelt die Technologie vieler Anbieter Daten zum Lernverhalten und liefert darauf basierend Vorschläge für Lerninhalte. Wer etwa ein Training zu Feedbackregeln absolviert, bekommt im Anschluss ein Fortgeschrittenen-Training empfohlen. Das ist so ähnlich, wie wenn Sie bei Amazon eine Fahrradpumpe bestellen und dann einen Helm vorgeschlagen bekommen. Bei PINKTUM gehen wir schon jetzt einen Schritt weiter und nutzen mit PINKprofile eine Diagnostik zu Beginn der Learning Journey.

Denn ab sofort kann Künstliche Intelligenz (KI) weit mehr. Sie analysiert nicht nur das Lernverhalten, also was klicken Sie an, sondern versteht die Persönlichkeit des Lernenden. Schließlich lernt jeder Mensch anders: Manche verarbeiten Informationen schnell, andere brauchen mehr Zeit. Einige lernen am besten durch Aufschreiben, andere durch Ausprobieren. Moderne KI kann diese Unterschiede erkennen und die Lernreise so gestalten, dass sie den ganz persönlichen Bedürfnissen gerecht wird. Damit wird Lernen nicht nur effizienter, sondern auch individueller und nachhaltiger.

Wie individuell kann technologiegestütztes Lernen eigentlich sein?

KI gekoppelt mit einer wissenschaftlich fundierten Diagnostik ermöglicht es uns, Lernen von Grund auf zu personalisieren. Jeder Lernende bekommt sein eigenes, auf ihn zugeschnittenes Lernerlebnis. Deshalb sprechen wir nicht mehr von Individualisierung, sondern von Personalisierung. Denn KI kann die Persönlichkeit jedes Einzelnen erfassen und ihn entsprechend durch den Lernprozess führen.

Die KI wird so zu einem ganz persönlichen Coach. Sie kennt die Stärken und Schwächen des Lernenden und unterstützt ihn gezielt mit individuell abgestimmten Entwicklungshinweisen. Wer Praxisbeispiele braucht, bekommt sie. Wer sich mit der Umsetzung des Gelernten schwertut, kann Rollenspiele nutzen. Wer konkrete Herausforderungen im Arbeitsalltag meistern will, etwa ein schwieriges Gespräch mit einem Mitarbeitenden führen, kann genau das trainieren und direktes Feedback erhalten. So wird das Lernmanagement zum Personal Trainer für alle Human Skills.

Auf welche Weise können Unternehmen ein Umfeld des Enablements und des Lernens schaffen und auch in diesem Kontext neue Formate integrieren?

Wir stehen vor einer riesigen Brandungswelle des Wandels. Unternehmen haben zwei Möglichkeiten: Sie können sich von der Welle überrollen lassen, oder sie surfen. Wer sich für das Surfen entscheidet, muss aber erst einmal lernen, wie das geht.

Drei Basiskompetenzen sind dafür entscheidend:

  • Technologiekompetenz auf allen Ebenen: Unternehmen müssen die KI-Tauglichkeit ihrer Strategien überprüfen. Viele Geschäftsmodelle haben in ihrer aktuellen Form keine Zukunft mehr.
  • Veränderungsbereitschaft und Fähigkeit zur Steuerung von Change-Prozessen: Es reicht nicht, Mitarbeitende mit Upskilling-Programmen zu versorgen. Wer die Welle reiten will, muss den Menschen die Chance geben, sich anhand eigener Entwicklungsziele selbst weiterzuentwickeln, im eigenen Pace, in die selbstgewählte Richtung.
  • Offenheit und Lernfähigkeit: Und genau hier kommt die Personalisierung des Lernens ins Spiel. Menschen müssen dort abgeholt werden, wo sie stehen. Das muss mit variablen Formaten in einer personalisierten Lernreise erfolgen, die multimodulare Lernangebote macht: Der eine sieht sich ein Spielszene an, der nächsten geht eine Checkliste durch, wieder ein anderer übt interaktiv mit einem Rollenspiel. Nur so können neue Kompetenzen erworben und erfolgreich im Unternehmensalltag umgesetzt werden.

Ein Umfeld des Enablements bedeutet, dass Unternehmen gezielt Rahmenbedingungen schaffen, in denen Mitarbeitende ihre Kompetenzen weiterentwickeln können. Moderne Lernformate, unterstützt durch KI, sind dafür ein zentraler Baustein.


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