„Vertraue dir selbst und gehe auch Risiken ein“

Eine persönlichere Lernwelt ist möglich, durch künstliche Intelligenz. Wie Technologie die Lernwelt in Zukunft beeinflusst, das haben wir im Gespräch mit Oliver Köth, Chief Technology Officer bei NTT DATA DACH, versucht, herauszufinden.

Was würdest du deinem jüngeren Ich heute raten?
In Kurzform würde ich ihm empfehlen: Vertraue dir selbst und gehe auch Risiken ein! Für den Einstieg in das Berufsleben und den künftigen Erfolg sind Selbstvertrauen und Risikobereitschaft wichtige Faktoren. Zum einen sollte mein jüngeres Ich also immer an sich selbst glauben und zum anderen offen sein für neue, unkonventionelle Wege, die auch Risiken mit sich bringen können.

Gerade Berufseinsteigende kommen mit einem ganz anderen didaktischen Hintergrund in die Arbeitswelt – zugespitzt „akademisches Lernen vs. berufliches Lernen“. Wie kann Technologie hier helfen?
Hier gibt es die verschiedensten Technologien. Weit verbreitet und bekannt sind E-Learning-Plattformen. Sie unterstützen ein flexibles Lernen im Rahmen von Online-Kursen, wobei Nutzerinnen und Nutzer Lernthemen in ihrem eigenen Tempo aufgreifen können; damit wird auch der individuelle Lernstil berücksichtigt. Unterstützt wird vielfach auch ein Mobile Learning, sodass Berufseinsteigende mit Smartphones und Tablets jederzeit und überall auf Lernmaterialien zugreifen können – verbunden mit einer Verbesserung der Flexibilität und des Zugangs zu Informationen. Wichtige Features einer E-Learning-Plattform können Gamification oder der Einsatz von Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR) sein. Mit Gamification, das heißt durch die Integration von spielerischen Elementen in Lernanwendungen, wird das Lernen ansprechender und motivierender gestaltet. VR- und AR-Technologien stellen simulierte Umgebungen realistischer Szenarien bereit, die Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteigern helfen können, sich in einer neuen Rolle zurechtzufinden.

Für Unternehmen bietet sich vor allem zudem die Durchführung von virtuellen Workshops und Webinaren an, in denen spezifische, Job-relevante Fähigkeiten vermittelt werden. Solche Veranstaltungen bieten interaktive Möglichkeiten zum Lernen. Dabei sollte man auch das Networking explizit methodisch berücksichtigen, etwa durch die Bildung von Kleingruppen oder virtuellen Breakout-Räumen in den Pausen.

Auch Mentoring-Programme, die auf digitalen Plattformen aufgebaut werden und Mentoren und Mentorinnen mit Mentees verbinden, sind ein gutes Beispiel für die Nutzung von Technologie. Sie dienen dem Wissensaustausch und der Weiterentwicklung beruflicher Fähigkeiten. Ich selbst bin beispielsweise auf der Plattform Mentor.me als Mentor für Frauen in Technologieberufen aktiv.

Nicht zuletzt muss auf jeden Fall die Künstliche Intelligenz genannt werden. Mit KI-gestützten Systemen ist es möglich, personalisierte Lernwege zu erstellen und die Fortschritte der Lernenden zu analysieren. Der Mitarbeitende erhält auf dieser Basis maßgeschneiderte Inhalte und Feedback, damit er seine individuellen Stärken und Schwächen identifizieren und sich gezielt weiterentwickeln kann.

Klar ist: Wer heute einsteigt, hat eine „Lifelong Learning Journey“ vor sich. Mehr denn je ist sie individueller denn je. Auch hier die Frage: Was ermöglichen mir KI-Tools, damit ich besser, individueller, auf meine Bedürfnisse eingehend, lernen kann?

KI-Tools und KI-gestützte Lernplattformen bieten eine Reihe von Möglichkeiten, die den Lernerfolg optimieren. Die folgenden Beispiele verdeutlichen das. Ganz allgemein unterstützt KI bereits bei der Automatisierung von administrativen Aufgaben wie dem Planen von Lernzeiten oder dem Verfolgen von Fortschritten, sodass Lernende mehr Zeit für den tatsächlichen Lernprozess haben. Auch der Einsatz von Chatbots für die Beantwortung häufig gestellter Fragen kann hilfreich sein.

Neben aller Technologie sollten insbesondere Unternehmen „persönliche“ Formate, also eine Kultur der Begegnung beim Lernen, mit einbeziehen. Der individuelle Austausch kann durch Technologie nicht substituiert werden.

KI ist vor allem ein zentraler Bestandteil adaptiver Lernsysteme, bei denen der Lernfortschritt in Echtzeit analysiert und der Lerninhalt dynamisch angepasst wird. Wenn etwa Berufseinsteigende in einem bestimmten Bereich Schwierigkeiten oder Schwächen haben, bietet eine KI-gestützte Plattform die Möglichkeit, maßgeschneidert und bedarfsorientiert zusätzliche Ressourcen oder Übungen bereitzustellen, zum Beispiel in Form eines mit generativer KI hergestellten Podcasts. KI kann auf Basis der bisherigen Interaktionen und Präferenzen des Lernenden auch gezielte Content-Empfehlungen für weitere Inhalte oder Kurse aussprechen, die ein kontinuierliches und abwechslungsreiches Lernen ermöglichen. KI ist außerdem in der Lage, Lerninhalte für Menschen mit verschiedenen Bedürfnissen anzupassen, indem sie beispielsweise Materialien in unterschiedlichen Formaten wie Audio, Video oder Text automatisiert generiert und zur Verfügung stellt.

Zu nennen sind zudem intelligente Tutoring-Systeme, die unter KI-Nutzung als persönliche Lernassistenten fungieren. Sie können individuelle Fragen beantworten und Erläuterungen bereitstellen oder sogar ein motivierendes Feedback geben – vergleichbar einem menschlichen Mentor oder Tutor.

Last but not least: Ich würde allen Interessierten empfehlen, sich einmal die Plattform Quizlet anzusehen. Ursprünglich gestartet mit Lernkarten kann die Plattform inzwischen auf Basis eines „Lernkorpus“ – wie der PDF-Version eines Fachbuchs – ein komplettes Lernprogramm entwerfen, durch das die Lernenden interaktiv geführt werden. Auch das Extrahieren eigener Lernkarten wird unterstützt, um beispielsweise Fakten zu vermitteln oder offene Fragen zu stellen.

Was rätst du Unternehmen, wie sie ein Umfeld des Enablements und des Lernens schaffen können, das selbst auch ganz neue Formate mit sich bringen wird?

Zum einen sollten Unternehmen auf jeden Fall in eine Lernplattform investieren. Wichtige Auswahlkriterien sind dabei, dass sie über KI-Features verfügt und auch eine Produkt-Roadmap für KI-Features vorhanden ist, da hier in naher Zukunft viele Verbesserungen zu erwarten sind. Zum anderen sollte aber auch der Faktor Mensch nicht übersehen werden. Wir haben zum Beispiel gute Erfahrungen mit Formaten wie „Hack & Learn“-Sessions in der Mittagspause gemacht. Hier treffen sich Mitarbeitende für 60 bis 90 Minuten und gehen gemeinsam ein Tutorial durch – während nebenbei etwa eine Pizza gegessen wird. Auch Vortragsformate vor Ort sind eine gute Lösung, insbesondere wenn danach noch ein Networking mit ein paar Getränken angeboten wird und so die Mitarbeitenden motiviert werden, das Homeoffice zu verlassen.