„Gute Personalauswahl ist für beide Seiten gut“
Personaldiagnostik oder auch Personalauswahl wird gerne auf das Wort „Eignungstest“ reduziert. Wenn Unternehmen diese Personaldiagnostik als das verstehen, was sie ist – nämlich ein guter Hebel dafür, offene Stellen mit den richtigen Personen zu besetzen – dann greift das deutlich zu kurz. Doch auch Bewerbende sollten sich unbedingt mit „Selbstdiagnostik“ beschäftigen, wie Prof. Dr. Uwe Kanning im Interview erklärt.
Herr Prof. Dr. Kanning, jungen Menschen steht vermutlich die größte Zahl an Joboptionen seit Generationen zur Verfügung. Oder auch: Wer die Wahl hat, hat die Qual. Ihre Forschung beschäftigt sich mit der Personalauswahl und Eignungsdiagnostik. Welche Rolle nimmt das Thema Ihrer Wahrnehmung nach ein?
Es ist sehr wichtig, dass sich nicht nur Arbeitgeber Gedanken darüber machen, welche Personen am besten für bestimmte berufliche Aufgaben geeignet sind, sondern dass auch Bewerberinnen und Bewerber selbst reflektieren, welche Tätigkeiten am besten zu ihnen passen. Der Beruf ist für die meisten Menschen eine wichtige Quelle der Zufriedenheit, aber auch der Unzufriedenheit im Leben. Daher sollten sich junge Menschen Gedanken darüber machen, was ihnen wichtig ist, wo ihre Stärken und Schwächen liegen und welche berufliche Tätigkeit für sie interessant sein könnte. Dies gilt selbst dann, wenn sie im Laufe ihrer beruflichen Laufbahn vielleicht noch häufiger die beruflichen Aufgaben wechseln.
Arbeitgeber sind sich darüber im Klaren, dass Bewerberin und Bewerber heute in einer wesentlich stärkeren Position sind als früher. Sie werben daher für sich, um gut qualifizierte Menschen zu einer Bewerbung zu bewegen. Dennoch gibt es in den meisten Fällen keinen „Arbeitnehmermarkt“. Bewerberin und Bewerber können sich nicht frei aussuchen, wo sie arbeiten werden. Besonders gut qualifizierte Personen bekommen jedoch, nachdem sie mehrere Auswahlverfahren bei verschiedenen Arbeitgebern durchlaufen haben, häufiger auch mehrere Angebote und haben dann die Wahl.
Wie erkenne ich aus der Position des Bewerbenden heraus, dass ein Unternehmen sich im Hinblick auf dieses Thema „Gedanken gemacht hat“?
Arbeitgeber machen sich heute sehr viel mehr Gedanken darüber, wie sie attraktiv erscheinen können. Auf ihren Internetseiten beschreiben sie oft übertrieben die Vorzüge des Unternehmens oder vermitteln den falschen Eindruck, als würde ein Arbeitsplatz keine Anforderungen an die Beschäftigten stellen. Zudem sprechen sie gezielt interessante Personen über soziale Netzwerke an, um sie zu einer Bewerbung zu bewegen. Es ist wichtig, dass man sich darüber im Klaren ist, dass die Selbstdarstellung der Arbeitgeber oft wie „Werbung“ zu verstehen ist. Nicht alles, was da gesagt wird ist falsch. Vieles ist aber geschönt und muss kritisch hinterfragt werden. Manche Arbeitgeber bieten auf ihren Internetseiten die Möglichkeit, eine Art Test zu absolvieren, um sich selbst dahingehend zu überprüfen, ob man für die ausgeschriebene Stelle geeignet ist. Ein solcher Test ist durchaus sinnvoll, wenn er qualitativ gut entwickelt wurde.
Kann ich auf diese Weise – also in gut gemachten Skill-Tests – auch etwas über die Arbeit erfahren, die mich konkret auf einer Position erwartet?
Bei den meisten Tests, die Arbeitgeber auf ihren Internetseiten anbieten, geht es nicht darum, dass ich direkt etwas über den Arbeitsplatz erfahre, sondern dass ich mich selbst dahingehend testen kann, wie gut eine Stelle zu mir passt. Manche Arbeitgeber bieten heute auch die Möglichkeit, in Form einer virtuellen Realität, Einblicke in das Unternehmen zu bekommen. Man durchläuft dann virtuell verschiedene Stationen des Unternehmens oder schaut in unterschiedliche Ausbildungsberufe rein. Dies mag dabei helfen sich ein klein wenig zu orientieren. Auch hierbei ist jedoch entscheidend, inwieweit das Unternehmen die Realität realistisch wiedergibt oder ein positiv verzerrt Bild von sich zeichnet.
Die Frage liegt natürlich nahe: Ist es sinnvoll, für genau solche Tests sein Wissen zu optimieren?
Nein, das ist kaum möglich, denn man ja gar nicht weiß, welchen Test der Arbeitgeber einsetzt. Zudem geht es bei solchen Testverfahren auch nicht darum, möglichst gut abzuschneiden. Der Test soll vielmehr dabei helfen eine für sich richtige Entscheidung zu fällen. Werden Testverfahren später nach der Bewerbung im eigentlichen Auswahlverfahren eingesetzt, geht es schon darum gut abzuschneiden, um ein Stellenangebot zu bekommen. Dabei ist aber eins zu bedenken: Gute Personalauswahl ist für beide Seiten gut, nicht nur für den Arbeitgeber, sondern auch für Arbeitnehmer/innen. Sie schützt Bewerberinnen und Bewerber davor, einen Arbeitsplatz zu bekommen, der nicht zu ihnen passt und der letztlich zu Unzufriedenheit führt. Insofern sollte man nicht versuchen, entsprechende Testergebnisse zu verfälschen, insbesondere dann nicht, wenn sie nur zur Orientierung dienen. Letztlich ist allerdings auch hier immer wieder entscheidend, wie gut die Qualität der eingesetzten Testverfahren ist. Dies lässt sich aus Sicht der Bewerberinnen und Bewerber leider nicht beurteilen.
Welchen Rat geben Sie jungen Menschen, z. B. in Ihren Vorlesungen oder auf Vorträgen, mit?
Informieren Sie sich ausführlich über verschiedene Ausbildungen, Studiengänge und Arbeitsplätze bevor sie sich bewerben. Fragen Sie sich kritisch, was zu Ihnen passt. Glauben Sie nicht alles, was auf den Internetseiten der Arbeitgeber steht. Nutzen Sie die Gelegenheit, bei einem Arbeitgeber anzurufen und in einem persönlichen Gespräch zu klären, welche Personen überhaupt gesucht werden, welche Arbeitsaufgaben vor einem liegen und welche Erwartungen der Arbeitgeber an zukünftige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat. Gehen Sie offen und ehrlich in das Auswahlverfahren. So wie Sie erwarten, dass man ehrlich mit Ihnen umgeht, können Arbeitgeber auch erwarten, dass Bewerberinnen und Bewerber ehrlich sind. Informieren Sie sich aber darüber, wie Bewerbungen heute formal richtig gestaltet werden. Nehmen Sie sich nicht zu Herzen, wenn Sie in einem Auswahlverfahren nicht erfolgreich sind. Unterschiedliche Arbeitgeber stellen auch unterschiedliche Anforderungen. Es kann also sehr gut sein, dass Sie bezogen auf sehr ähnliche Arbeitsplätze in Unternehmen A abgewiesen werden, während Sie in Unternehmen B eine Zusage erhalten.
Über Prof. Dr. Uwe Kanning
Prof. Dr. Uwe Kanning ist seit 2009 an der Hochschule Osnabrück tätig. Er studierte in Münster und Canterbury und erhielt 1993 sein Diplom in Psychologie. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in den Themenfelder Personaldiagnostik, soziale Kompetenzen und Personalarbeit. Seit 1997 berät er Behörden und Unternehmen bei personalpsychologischen Fragestellungen. Er ist Autor und Herausgeber von mehr als zwei Dutzend Fachbüchern und psychologischen Testverfahren.
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